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Was wird in einer Stadt aufbewahrt, gepflegt und in Erinnerung behalten? Was gerät in Vergessenheit? Was möchte man am liebsten vergessen haben? Was lässt sich nicht vergessen? Und was „wäre, wenn“ sich das Geschehen in einer Stadt anders entwickelt hätte? Welche Funktionen hat überhaupt das Vergessen und das Sich-Erinnern?

Lehrende des neuen BA-Studiengangs Kulturwissenschaften aus drei Linzer Universitäten setzen sich mit diesen Fragen auseinander und machen uns mit unbeachteten Orten der Stadt Linz bekannt. Dabei werden auch unterschiedliche kulturwissenschaftliche und künstlerische Ansätze erkennbar, welche die Vielfalt der Fächer in dem Studiengang kennzeichnen.

Amnesien können auf unterschiedliche Weisen ans Licht gebracht werden. So wie bei einem Palimpsest lassen sich die verschiedenen Schichten einer Stadt nicht immer einfach aufdecken. Oft ist es wahrscheinlich einfacher, diese mit neuen Schichten zu beschreiben. Aber was geschieht dann – und unter welchen Umständen treten die älteren Nutzungsspuren wieder ans Licht?
Einführung, Amalia Barboza (Kunstuniversität Linz) und Marcus Gräser (JKU)
Marcus Gräser (JKU): Zwischen Dominanz und Unterdrückung: Protestantismus in Linz.
Orte: Das Landhaus, politische Zentrale der Protestanten/ Luther Kirche an der Hauptstraße
Gudrun Rath, Nils Olger, Renée Winter (Kunstuniversität Linz): Die Stadt in der Grotte.
Ort: Hauptplatz 6
Siegfried Fruhauf (Kunstuniversität Linz): Wo ich den Außerirdischen sah
Ort: Waltherstraße 11.
Jasmin Mersmann (Kunstuniversität Linz): Mapping Domgasse. Passagen zwischen Linz und China. Orte: Gedenktafel für Xaver Erobert Fridelli am Alten Dom, danach: Jesuitenseminar gegenüber, Abschluss: Eingang zur Kunstuniversität (ehem. Jesuitenkolleg)
Angela Koch/Sabrina Kern (Kunstuniversität Linz): Entmerkte Denkmäler im Volksgarten.
Ort: Franz Stelzhammer-Denkmal im Volksgarten.
Ilaria Hoppe (Katholische Universität): Das „Hitler-Grafitti“ am Fadinger-Gymnasium. Diskurse und Kontroversen.
Ort: Schulhof des Fadinger-Gymnasiums, Bethelehmstr. 13-15.
Mariel Rodriguez Rodriguez (Kunstuniversität Linz): Autobiografie und Stadt. Marlen Haushofers Erfahrungen aus den Internatsjahren. Ort: Ursulinenhof.
Martina Gugglberger (JKU): Frauengefängnisbaracke Kaplanhof. Zum Denkmal-Projekt "Frauen im Widerstand gegen das NS-Regime in Oberösterreich". Ort: Nietzschestraße 33.
Andreas Telser & Martina Resch (Katholische Universität): „Lost & Found“ Graten – Grenzgänge.
Ort: Das "verlassene" Areal des ehemaligen Kapuzinerklosters, Kapuzinerstrasse 38.
Aloisia Moser (Katholische Universität): Wittgenstein und die Zerzeigung in der Steingasse. Ort: Star Inn Hotel, Steingasse 4.
Amalia Barboza (Kunstuniversität Linz): „Wie komme ich zu Kraus und Schober“ Strategien für ein erweitertes Gedächtnis. Ort: Domgasse 16.
Amalia Barboza

„Wie komme ich zu Kraus und Schober? Strategien für ein erweitertes Gedächtnis“

Die Straßen von Linz sahen um 1934 ganz anders aus. Am Hauptplatz und an der Domgasse strahlte das Kaufhaus Kraus und Schober. „Wie komme ich zu Kraus und Schober“ steht in dem Jubiläumskatalog von 1934. Wie könnten wir heute auf diese Vergangenheit blicken und die Bilder dieser Zeit in der Gegenwart wirken lassen? Wie entsteht durch Montagen ein erweitertes Gedächtnis, welches uns ermöglicht, nicht die Vergangenheit wieder zu beleben, aber diese zu aktivieren? So dass die Vergangenheit eine Wirkung in der Gegenwart erzielt.


Aloisia Moser

„Wittgenstein und die Zerzeigung in der Steingasse“

Wittgenstein fragt in den Philosophischen Untersuchungen: "Wie kommt es, dass der Pfeil zeigt?" und sagt gleich darauf: "dieses Zeigen ist nicht ein Hokuspokus, welches nur die Seele vollziehen kann." In meinem Vortrag beschäftige ich mich mit der Zerzeigung, einer Form von ästhetischen "Ordnung" im Material die im Gegensatz zur logischen Ordnung im Begrifflichen steht.


Martina Resch und
Andreas Telser

„lost and found-
Garten Grenzgänge“


Gärten sind seit jeher übercodierte Orte, die sowohl für die Kulturwissenschaften als auch für die Theologie von großem Interesse sind. "Grenzgänge" zwischen den Disziplinen und "Grenzgänge" am konkreten Garten vor Ort: Wer darf hinein und wer bleibt draußen?

Angela Koch und Sabrina Kern

„Entmerkte Denkmäler im Volksgarten“

„Der Linzer Volksgarten liegt an der Grenze zwischen der Altstadt und den sozial schwächeren Stadtvierteln südlich der Bahngleise. Hier trifft das „Arbeiter:innen-Migrant:innen-Linz“ auf das bürgerliche Linz. Dies zeigt sich auch an den Denkmälern, die im Volksgarten zumeist als Relikte des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts herumstehen und nicht nur das Bürgertum, sondern auch patriarchale, volksdeutsche und antisemitische Ideen dieser Zeit repräsentieren: das Stelzhamer-Denkmal, die Büste Friedrich Ludwig Jahns und der Brunnen „Freude am Schönen“. Auch wenn sie sich scheinbar „unseren Sinnen entziehen“ (Musil), so verdient das, was sie repräsentieren eine erhöhte und v.a. kritische Aufmerksamkeit.“

Jasmin Mersmann

„Mapping Domgasse. Passagen zwischen Linz und China“

Wie sind Linz und Kanton, Post und Kartographie, Wissen und Macht miteinander verbunden und was hat die Kunstuni damit zu tun? Ein kurzer Spaziergang von der Gedenktafel an den Jesuitenmissionar Xaver Fridelli (1673–1743) zur Domgasse 1 vermisst das Territorium, in dem wir uns täglich bewegen.
Siegfried Fruhauf

„Wo ich den Außerirdischen sah“

Wie weit reichen die Schatten von der Kinoleinwand hinaus in den öffentlichen Raum? Wo ist „das Filmische“ in einer Stadt? Diesen Fragen versuche ich in meinem Vortrag, und in meiner Lehrveranstaltung gemeinsam mit Studierenden, nachzugehen. Wobei natürlich erst einmal zu klären wäre, was denn „das Filmische“ eigentlich ist.
Gudrun Rath, Nils Olger, Renée Winter

„Die Stadt in der Grotte"

"Was wird in einer Stadt aufbewahrt, gepflegt und in Erinnerung behalten? Was gerät in Vergessenheit? Ausgehend von diesen Fragen analysiert der Beitrag populärkulturelles Vergessen der NS-Geschichte des Linzer Hauptplatzes und der Grottenbahn."
Mariel Rodriguez

„Autobiografie und die Stadt. Marlen Haushofers
Erfahrungen aus dem Internatsjahren“


1930 wurde die Schriftstellerin Marlen Haushofer in das Internat der Ursulinen in Linz geschickt, um als Hausfrau sozialisiert zu werden. Wie sie selbst in ihrem autobiografischen Roman "Himmel der nirgendwo endet" (1966) beschreibt, waren die Jahre in diesem Haus furchtbar kalt und traurig. Sie ist von einer schönen, sinnlichen Kindheit auf dem Land in diesen Nicht-Ort, das Internat, gezogen. Im Rahmen von "Amnesien der Stadt Linz" wird die Lektüre von Fragmenten dieses Romans vor den Toren des ehemaligen Linzer Mädcheninternats als eine Übung zum Nachdenken über die Zusammenhänge von Vergessen, Erinnerung, Autobiographie und Stadt vorgeschlagen.



Ilaria Hoppe

„Das ‚Hitler-Grafitti‘ am Fadinger-Gymnasium. Diskurse und Kontroversen“

Im Sommer 2020 führte der Graffiti-Künstler Erich Willner aka Shed ein Mural an der Fadinger-Schuler aus, welches das berühmte Klassenfoto mit dem jungen Adolf Hitler zeigte. Die Darstellung erregte eine kontroverse Debatte, die schließlich zur Übermalung führte. Diese immer noch sichtbare Palimpsest wirft Fragen auf, nach dem Umgang mit dem 'schweren Erbe', historischer Wahrheit und künstlerischer Freiheit.





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